top of page

HORST SAUERBRUCH

"Der Sommer war sehr groß"

 

23.06. – 28.07.2024

Liebe Gäste,
zu dieser schönen Ausstellung mit Arbeiten von Horst Sauerbruch darf ich Sie – auch im Namen von
Ernst und Constanze Geyer sowie der Familie Sauerbruch – ganz herzlich begrüßen.
„Der Sommer war sehr groß“: Mit diesen Worten von Rilke ist die Ausstellung überschrieben. Wir
werfen einen Blick zurück: auf das Lebenswerk des im Herbst 2021 verstorbenen Malers und
Kunstlehrers Horst Sauerbruch ... und wohl auch auf ein wichtiges Kapitel für die Galerie Villa Maria,
das sich mit dieser Ausstellung schließt. Es wird eine Ernte eingefahren, ein Wachstumszyklus kommt
an sein Ende. Die Früchte liegen vor einem, und ein Überblick über die geleistete Arbeit und ihre
Bedingungen wird möglich.
Der Satz will nicht als nüchternes Urteil verstanden werden, sondern ist Ausdruck einer poetischen
Unbedingtheit, die uns heute etwas abhandengekommen ist. Wir haben irgendwie Probleme mit
diesem Begriff des „Großen“. Und das nicht erst, seit wir uns vor der zweiten Auflage von „Make
America great again!“ fürchten müssen. Lieber eine Nummer kleiner! Nur nicht zu dick auftragen!
Horst Sauerbruch war da anders: Er misstraute der zur Schau gestellten Bescheidenheit und gönnte
sich auch mal eine große Geste. Dabei waren ihm Angeber- und Großkünstlertum ein Graus. Er wollte
sich aber auch nicht ausreden lassen, was er immer wieder so intensiv erlebte: etwa, dass es so
etwas wie große Malerei gibt.
Der tragische Zusammenhang von Größe, Größenwahn, Verlust der Größe und ihrer Entdeckung im
Verlorenen hat ihn immer beschäftigt. Da war der Mythos des Großvaters, wie eine Heiligenfigur
verehrt, der Kampf seines Vaters um künstlerische Selbstbehauptung und Anerkennung im Schatten
des nicht verglühen wollenden Stars. Und da war Hermann Kaspar, sein Lehrer an der Akademie:
einst „Gottbegnadeter“ von falschen Gnaden, dann um neue Anerkennung ringend zum geächteten
Feindbild einer ganzen Generation geworden. Dieses Tragische am Großen hat Horst Sauerbruch
immer tief empfunden. Die zerstörerischen Folgen von Hybris und Fluch konnte ihn aber nicht dazu
bringen, die Kraft zu leugnen, aus der ganz nebenbei auch Großes wachsen kann.
Wenn er dann auf den Schrottcontainer stieg, in dem Hermann Kaspars Witwe die Relikte eines
tragischen, ja desaströsen Ringens um Größe entsorgen wollte, dann provozierten ihn diese
belasteten Gegenstände in ihrer Verlorenheit und ihrem Schmerz. Und dann nahm er einfach diese
alte Tischplatte aus der Akademie, an der Jahrzehnte lang erbittert über große Kunst verhandelt
wurde, diese Filmdosen, Aufbewahrungsort tiefer Leidenschaften und Dramen, die abgestempelten
Streifenkarten, die Arbeitshandschuhe, die Obstkisten, die Würstelteller oder die Katzenfutterdosen
längst verblichener Katzen ... und entdeckte sie als Malgrund.
Er spritze die Farbe auf den belasteten Grund, streute Flecken und setzte energische Spuren. Er
schrieb ihre Geschichte fort in von Inhalt befreiten Zeichen. Es wachsen lockere Notationen, dichte
Gewebe und ironische Schlenker. So bekommen die absterbenden Malgründe Farbräumlichkeit und
Ausdruck. Diese Malerei ist immer zeitgebunden und steht im größten Kontrast zur Behauptung, zu
dem Willen, etwas festhalten und verewigen zu wollen. Sie ist das Dokument eines spielerischen
Kampfes mit der Wiederholung, mit dem Starren und Leeren. Sie ist immer auch unverschämt und
frech, denn das Freche bricht das in Größe Erstarrende.
Es war – auch das ein typisches Wort von Horst – herrlich, wenn er etwa Honoratioren aus den
Chefetagen durch die Jahresausstellung führte. Voller Eifer versuchte er mit seiner Leidenschaft für
das Bildnerische hinter die Fassaden erstarrter Wichtigkeit zu dringen. Doch plötzlich – habe ich mich
gerade verhört? – bindet er eine freche bis unverschämte Bemerkung in den energischen Redefluss
ein ... und die Herren klatschten und waren begeistert. Mit der Klasse eingeladen in eine prächtige
Villa in instagramtauglicher Umgebung meldete er den Gastgebern begeistert am Telefon zurück:
„Yes, yes, it’s so wonderful, it’s amazing, yes, yes, and it smells so terrible, we are really happy!“
Etwas von dieser Frechheit findet sich in vielen Bildern wieder. Was zu gut funktionierte, auch in
seiner eigenen Malerei, war ihm verdächtig. Exemplarisch möchte ich das an dem Bild „Das große
Votiv“ von 2005/2006 hier über dem Tischchen verdeutlichen.
Das Format nähert sich an ein Quadrat an, wirkt klassisch. Bildfeld mit breitem Rahmen. Rahmen hat
man heute ja nicht mehr oft: zu viel Bedeutsamkeit, zu viel behauptete Größe, zu viel Abgrenzung
und Erhöhung. Ein Anlass genug für Horst Sauerbruch, um den Rahmen besonders zu feiern. Wir
sehen abstrakte Malerei, expressiv und farbstark. Es fällt eine gewisse Reduktion der Palette auf.
Zwei dominante Blautöne, ein Petrolton und das für Sauerbruchs Malerei so typische Orange. Mit
diesen Farben in unterschiedlich großen, energisch gesetzten Flecken entsteht ein Farbraum. In der
Mitte nach rechts hin werden die Flecken kleiner. Man hat das Gefühl, dass das Bild einen in die Tiefe
zieht. Dennoch ist dieses Spiel der Flecken nicht bedrängend. Eine weiße Ebene und locker
eingestreute weiße Flecken erzeugen eine gewisse Leichtigkeit. Das Große drängt nach hinten, das
Kleine nach vorne. Wie bei einem Musikstück tauchen immer wieder Motive in neuen Variationen
auf. Das raffinierte Zusammenklingen der Blautöne ist kein Zufall. Hier hat sich jemand intensiv mit
der Geschichte der Malerei auseinandergesetzt, mit den Wirkungen verschiedener Pigmente. Und in
dieses subtile Spiel – unverschämt! – klotzt ein tiefes Schwarz hinein. Und das nicht einmal
gleichmäßig. Es dringt quasi von links in das Bildfeld ein. Schwarz ist eine Nichtfarbe und schlecht
beleumundet: Trauer, Düsternis, Tod. Vielleicht hat Horst Sauerbruch dieses Motiv von russischen
Hinterglasikonen, die er leidenschaftlich sammelte. Auch hier werden die einzelnen Farbfelder
aufgelöst in einen schwarzen Grund wie bei bleiverglasten mittelalterlichen Fenstern. Womöglich
deutet auch der Titel „Das große Votiv“ in diese Richtung. Auch Kandinsky war in seinen frühen
Bildern von diesen Ikonen beeinflusst. Das Schwarz verleiht den Farben einerseits eine besondere
Leuchtkraft. Es ist aber andererseits auch ein gewaltsames Element. Der Einbruch kann noch
verkraftet werden, weil sich bisweilen farbige vor die schwarzen Flecken schieben. Gerade als wir
beginnen, darin eine ungewohnte neue Harmonie zu erkennen, kommt die nächste Frechheit.
Bedrohliche Riesenflecken werden auf den Rahmen gekleckst. Was soll das? Das Bild ist doch heilig,
nicht der Rahmen. Ist der Rahmen Teil des Bildes? Auch das ein Motiv, das aus der Ikonenmalerei
bekannt ist. Geht es um die Entgrenzung des Bildfelds? Aber nein, die Flecken werden mit
provokanter Regelmäßigkeit gesetzt und wirken absolut ornamental. Ein ironischer Kommentar zum
fein kalibrierten Bildfeld? Wollte sich der abstrakte Expressionismus nicht unbedingt abheben vom
Ornamentalen und Kunsthandwerklichen, indem er Anschluss an das Altarbild suchte? Horst
Sauerbruch bemalte auch Geschirrtücher ... mit Aufhänger. Es gibt also zwei Bildwelten, das Bildfeld
und den Rahmen, die ineinander übergehen, aber irgendwie auch getrennt sind. Doch damit nicht
genug. Denn wie die Positionslichter einer Landebahn sind auf die oberste Bildebene knallrote
Punktreihen ins Bildfeld gesetzt, die rechts dem Rahmen folgen, ihn fast schon nachahmen. Am
oberen Rand werden sie größer und bekommen einen weißen Fleck in der Mitte. Mehr Kontrast geht
nicht. Wie vier Verkehrsschilder bilden diese Zeichen eine Linie, die jeder klassischen Komposition
spottet. Viel zu weit oben, ohne Verbindung zum restlichen Bild. Es ist einfach unverschämt. Aber es
ist auch unverschämt großartig. Horst Sauerbruch gönnt sich diese Großartigkeit einfach.
Es ist die Energie, die aus dieser Großzügigkeit wächst, die uns an seinen Bildern in den Bann zieht.
Sie vermittelt sich immer wieder neu und erzeugt eine schwer zu beschreibende Emotionalität. Da ist
eine Heiterkeit, aber nicht ohne Tragik und Schwere. Da ist eine Rhythmik und Bewegtheit wie in der
Natur, aber keinesfalls eine Idylle. Da ist ein Leben im Moment seiner Befreiung, ein Loslassen, wie
wir es kennen, wenn wir uns in einem warmen Sommer dem Moment hingeben.
In diesen Sinn: Der Sommer war sehr groß.
Gerhard Schebler

bottom of page